Wie stellen Sie sich ein FREIES EUROPA vor, Herr Krahmer?

Holger Krahmer, MdEP„Die Währungsunion ist ein großer Irrtum, ein abenteuerliches, waghalsiges und verfehltes Ziel, das Europa nicht eint, sondern spaltet“, so Ralf Dahrendorf im Dezember 1995. Die heutige Entwicklung hat auch ein anderer vorhergesehen: Otto Graf Lambsdorff, der am 23. April 1998 im Bundestag der Einführung der Währungsunion zuletzt nicht mehr zustimmte. Seine Stimmerklärung liest sich heute wie eine unheilvolle Prophezeiung: “Ich habe die endgültige Zustimmung davon abhängig gemacht, dass die Kriterien des Vertrages strikt eingehalten werden und dass ihre Dauerhaftigkeit gesichert ist. Ich habe Zweifel, ob die Kriterien wirklich strikt eingehalten werden.“ Weiter schrieb er: „Schon am 8. Oktober 1992 habe ich von dieser Stelle aus die Teilnahme Italiens an der ersten Runde problematisiert. Mit einer Gesamtverschuldung von 121,6 Prozent des Bruttosozialprodukts kann von Einhaltung des Kriteriums keine Rede sein. [...] Es ist ausgeschlossen, dass Italien die Marke von 60 Prozent in den nächsten 10 bis 15 Jahren erreichen könnte. [...] Wenn wir mit dem Mühlenstein italienischer – übrigens auch belgischer – Gesamtverschuldung in die Europäische Währungsunion gehen, dann ist die Stabilitätspolitik der Europäischen Zentralbank besonders gefordert. Kann die EZB das leisten: Ja, wenn ihre Unabhängigkeit nicht unterminiert wird. Aber solche Versuche laufen, und die Bundesregierung hat sie trotz aller Bemühungen, die ich würdige, nicht endgültig abwehren können.“
Eine Währung ohne Staat kann nicht funktionieren. Das wissen wir aus der ökonomischen Theorie, aus der Wirtschaftsgeschichte und wir machen diese Erfahrung nun erneut mit der Europäischen Währungsunion. Nun muss man darüber diskutieren, ob man den fehlenden Staat zur existierenden Währung konstruiert oder ob man die Währungsunion der ökonomischen und politischen Realität anpasst. Hinter all dem steckt die Frage, welches Europa wir wollen.
Die Bildung eines europäischen Einheitsstaates mag eine interessante Vision sein. Realistisch ist sie nicht. Früher hieß das Motto der EU ‘Einheit in Vielfalt’. Das bedeutet, dass es innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten höchst unterschiedliche Traditionen, Kulturen und Vorstellungen über die Frage gibt, wie man einen Staat organisiert – und damit auch seine Geldpolitik. Niemals werden sich die EU-Regierungen darüber einig. Und falls doch, wäre es ein aus der Not geborenes Konstrukt auf einer sehr abstrakten, technokratischen Ebene. Welchen Rückhalt kann ein solches Konstrukt in der Bevölkerung haben? Und wie demokratisch legitimiert kann es sein?
Der Weg zu einer marktwirtschaftlichen, subsidiaren, letztlich liberalen EU führt hingegen über das Anerkennen der politischen und ökonomischen Realität: Die Währungsunion in dieser Form ist nicht ohne ständige und teure politische Eingriffe überlebensfähig. Sie sollte mit den dafür geeigneten Mitgliedsstaaten der EU neu konstruiert werden. Wenn endlich gutes ökonomisches Wissen und gutes politisches Handeln zusammenfänden – warum sollte das Projekt Europa daran scheitern, wie immer behauptet wird? Am Eintreten für eine Union souveräner Staaten ist nichts antieuropäisches. Es ist patriotisch und pro-europäisch.
Das Desaster der Währungsunion ist ein Aufruf, in Zukunft intensiver darüber zu diskutieren, bis wohin wir in Europa miteinander kooperieren und welche vielleicht nicht mehr rückholbaren Integrationsschritte wir vollziehen.

Senden auch Sie Ihre Idealvorstellung für ein FREIES EUROPA zur Veröffentlichung. Weitere Infos dazu finden Sie hier: Wie stellen Sie sich ein FREIES EUROPA vor?

Dieser Beitrag wurde unter Finanzen, Politik, Recht, Wirtschaft, Wissenschaft veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>