Philipp im Wunderland – die Reise des Bundeswirtschaftsministers ins Silicon Valley

Mit einer Delegation aus Startup-Unternehmern und Mitgliedern des Beirats „Junge digitale Wirtschaft“ hat Bundesminister Dr. Rösler verschiedene Unternehmen im Mekka der digitalen Welt besucht. Können wir tatsächlich von den Amerikanern lernen? Welchen Sinn hat so eine Reise? Im Interview zu diesen Fragen berichtet Michaela Merz von ihren Erfahrungen und Eindrücken. Michaela Merz ist u.a. auch Kernmitglied des Beirats „junge digitale Wirtschaft“ und erfolgreich in den USA und in Deutschland unternehmerisch aktiv.

Andreas Stein: Michaela, Du warst nicht bei der Reise in’s Silicon Valley dabei?

Michaela Merz: Nein. Ich war schon oft im Valley und bin auch im Juli wieder da. Außerdem hatte ich in dieser Woche wichtige Termine. Business first.

Andreas Stein: Die Welt schreibt zur Silicon Valley Tour: Wer berät eigentlich diesen Vizekanzler? Der Focus nennt die Reise „Mission Impossible“ und im Netz wird das Umarmungsbild mit Kai Diekmann hämisch kommentiert. Teilst Du die kritische bis negative Berichterstattung?

Michaela Merz: In der Presse ist ein Bild entstanden, dass ein wenig an eine chinesische Reisedelegation beim Besuch von Volkswagen vor zwanzig Jahren erinnert. Ich möchte ganz entschieden dem Eindruck entgegentreten, wir Internet-Unternehmer wären auf einem Dritte-Welt-Niveau und seien nun dringend auf Entwicklungshilfe der Amerikaner angewiesen. Das entspricht absolut nicht der Realität. Aber ich hätte schon gedacht, dass der Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland professioneller beraten wird. Immerhin hatte der Springer Konzern eine führende Rolle bei der Durchsetzung des Leistungsschutzrechts – nicht gerade förderlich für den digitalen Wirtschaftsstandort. Das Diekmann-Foto, das Bild mit Dietrich von Klaeden vor der Golden Gate Bridge (Anm. der Redaktion: Bruder des CDU-Politikers Eckart von Klaeden, der für die politischen Beziehungen des Springer-Verlages zuständig ist), der Besuch bei Rocket Space, an dem auch Springer beteiligt ist – ich finde solche Sachen nicht besonders klug. Und so geht es wohl auch anderen Medien.

Andreas Stein: Ist diese Reise nun Wahlkampf oder kann dabei etwas für unsere digitale Wirtschaft erreicht werden?

Michaela Merz: Sicher spielt der Wahlkampf eine Rolle. „Cool“ sein ist wohl angesagt im Moment. Für junge Unternehmer ist es bestimmt beeindruckend, sich im Valley umzuschauen und wichtige Kontakte zu knüpfen. Ich kann mich noch ganz gut an mein „erstes Mal“ erinnern. Aber all diese Coolness darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass unsere amerikanischen Freunde knallharte Business-Leute sind. Erste Regel im US-Business: Where’s the beef – also: Was habe ich davon. Das Silicon Valley ist für viele junge Unternehmer auch zum Tal der Tränen geworden. Im Grunde genommen gibt es gar nicht so viele Unterschiede zu anderen High-Tech Standorten. Das Wetter ist besser. Und das alleine sorgt schon mal für einen lockeren Umgang miteinander.

Andreas Stein: Können wir von den Amerikanern lernen?

Michaela Merz: Sicher können und müssen wir von den Amerikanern abschauen und lernen. Aber man darf dabei die unterschiedlichen Ausgangspositionen nicht übersehen. Hire and fire ist an der Tagesordnung, es gibt nahezu keine rechtlichen Bestimmungen zu Urlaub, schon gar nicht in Bezug auf bezahlte Krankheitstage. Wer bei einem Startup beschäftigt ist und weniger als 10, 12 Stunden arbeitet, natürlich ohne Überstundenregelung, ist nach ein paar Wochen auch wieder arbeitslos. Bezahlt wird mit einem kleinen Aktienpaket, das einen Mitarbeiter im Erfolgsfall dann zum Millionär machen kann. Wenn’s schief geht, hat der Mitarbeiter ein- oder zwei Jahre für einen Hungerlohn geschuftet. Von den Gewinnern hören wie immer. Von den vielen Verlierern nicht.

Andreas Stein: Was müssen wir in Deutschland machen, um den Abstand gegenüber den Amerikanern zu verkürzen? Brauchen wir mehr Geld? Förderungen?

Michaela Merz: Zunächst gibt es ja in Deutschland eine Anzahl von Unternehmen die auch international eine Rolle spielen.Ich nenne zum Beispiel Avira. Tjark Auerbach hat das Unternehmen schon Anfang der 90er gegründet. Heute hat Avira mehr als 500 Mitarbeiter und ist weltweit anerkannt und erfolgreich. Vielleicht sollte Minister Rösler auch mal eine Reisegruppe an den Bodensee führen.

Aber die USA haben im Vergleich einen riesigen Markt, unglaubliche Flexibilität und wenig staatliche Regelungen. Das war, ist und bleibt das Erfolgsrezept für erfolgreiches Unternehmertum. Wir können nichts daran ändern, dass unser Markt kleiner ist und das wir auf europäischer Ebene mit vielen verschiedenen Sprachen umgehen müssen. Wir haben auch eine andere Einstellung zu Mitarbeitern und historisch gewachsene Unternehmenskulturen, die unsere Flexibilität einschränken. In den USA kann ich aber innerhalb von 24 Stunden eine AG mit einem Dollar Startkapital gründen. Hier muss eine GmbH eben 25.000 Euro nachweisen, komplizierte Gründungspapiere erstellen lassen und zum Schluss muss ein teurer Notar auch nochmal alles vorlesen. Wir haben Finanzämter, die jedes Zwei-Personen-Unternehmen wie einen Großkonzern behandeln, uns quälen zusätzlich auch die zahlreichen und zum Teil komplexen Vorschriften, von Zwangsmitgliedschaften über Vorschriften zur räumlichen Ausgestaltung der Arbeitsplätze, über komplizierte Impressumspflichten, Rückgaberechte, Störerhaftung und eine Menge mehr. Und im jedem europäischen Land ist es anders . Wenn dann eine GmbH unter Wasser geht, muß sich der Geschäftsführer oft sogar noch mit einem Staatsanwalt herumschlagen. Da nützt es gar nichts, ein weiteres Förderprogramn aufzulegen.

Andreas Stein: Dein Unternehmen „germany.net“ war ja schon Mitte der 90er Jahre so eine Art Facebook. Warum ist Facebook heute ein Weltkonzern und nicht „germany.net“ ?

Michaela Merz: (lacht) Liegt vielleicht am Namen? Ich habe damals dem Investor, einem deutschen Großkonzern, einen Gang an die Börse vorgeschlagen, damit wir, notwendigerweise mit einem anderen Namen, ausreichend Kapital für ein internationales Wachstum bekommen. Das hat man aber abgelehnt und gesagt, das man das Wachstum auch ohne Börsengang finanzieren kann.

Andreas Stein: Und? Hat der Investor das Wachstum finanziert?

Michaela Merz: Leider nein. Meine Vorschläge wurden relativ lapidar zu den Akten gelegt. Ich habe mich daraufhin von germany.net zurückgezogen und bin in die USA gegangen.

Andreas Stein: Aber jetzt bist Du wieder in Deutschland?

Michaela Merz: Vorübergehend, um mich ein wenig um meine Eltern zu kümmern. Aber ich bin ja „Permanent Resident“ und habe nach wie vor eigene Unternehmen und Beteiligungen in den USA. Und unser neues Produkt „Secumundo“ wird auch in den USA starten.

Andreas Stein: Wenn Du freie Hand hättest – als Wirtschafts- oder Internetministerin – was würdest Du machen, um der digitalen Wirtschaft in Deutschland auf die Sprünge zu helfen?

Michaela Merz: Ich würde das Problem eher europäisch lösen wollen. Ich würde eine Art europäische „Freihandelszone“ für Startups aufbauen, in welcher die dort ansässigen Unternehmen mehr Spielräume erhalten – z. B. in Fragen der Mitarbeiterflexibilität und der Unternehmensgründung, wo für Europa einheitliche Steuergesetze gelten und wo sich die besten Köpfe Europas zusammenfinden können um innovativ und mit Engagement den Wettbewerb mit den USA aufzubauen.

Andreas Stein: Minister Rösler würde wohl Berlin vorschlagen.

Michaela Merz: Ich würde eher Zypern vorschlagen. Da ist das Wetter besser. Und – man mag es glauben oder nicht: Bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen ist man einfach besser drauf. Außerdem würde man auf diese Weise auch einem europäischen Nachbarn in einer schwierigen Situation einen sinnvollen Ausweg aufzeigen.

Andreas Stein: Aber Du strebst ja kein politisches Mandat an. Also wird’s wohl nichts mit der Freihandelszone.

Michaela Merz: Nein. Ich bin Unternehmerin.

Andreas Stein: Was sollen also innovative Jungunternehmer machen, um ihre Idee zu einem Weltkonzern aufzubauen?

Michaela Merz: Aus meiner Sicht sollten diese Unternehmern mindestens eine Niederlassung in den USA gründen. US-Investoren werden nur in Ausnahmefällen in Deutschland investieren. Ein guter Freund und VC in San Francisco sagte mir gestern: Warum sollen wir in Deutschland investieren? Wir haben genügend spannende und innovative Firmen hier. Ansonsten gilt: Aim high. Also nicht mit halben Sachen beschäftigen, immer die Kunden und das Große und Ganze im Auge behalten, nicht unterkriegen lassen und niemals aufgeben.

Andreas Stein: Michaela, ich bedanke mich für dieses informative Gespräch und wünsche Dir für Deine weitere Unternehmungen viel Erfolg!

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